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geschichte:1977

1977 - Heisse Zeit an baden-württembergischen Hochschulen

Landesregierung wollte „terroristischen Sumpf austrocknen“ und schaffte die verfasste Studentenschaft ab. Studierende gründeten unabhängige Vertretrungen. 1977 wurde die verfasste Studierendenschaft von der CDU-Landesregierung abgeschafft. So ist es in jedem UStA-ErsemetserInneninfo lesen. Wer genau hinsieht, wird auch auf mancher Fachschaftszeitung den Spruch finden ,,Für die Wiedereinführung der verfassten Studierendenschaft„. Das 20jährigen ,,Jubiläum“ ist Grund genug, die damaligen Geschehnisse ins Gedächtnis zu rufen.

Neben den hochschulpolitischen Entwicklungen in Baden-Württemberg ist auch ein Blick auf die hochschulpolitischen Ereignisse in der gesamten Bundesrepublik hochinteressant. 1977 war die Zeit des ,,Deutschen Herbst„, in der die RAF besonders aktiv war. Einige PolitikerInnen sahen besonders in der Studierendenschaft die Keimzelle des Terrorismus und große Teile der Presse stellten dies ähnlich dar. Neben dem Kampf gegen das Landeshochschulgesetz (LHG), das die Abschaffung der verfaßten Studierendenschaft vorsah, mußten sich die Studierenden in der Bevölkerung gegen die Terrorismusvorwürfe wehren. In Karlsruhe versuchte das der AStA z.B. durch Informationsstände am Marktplatz. Die BNN titelte: ,,Wir sind keine radikalen Kräfte - Studenten informieren über das Landeshochschulgesetz“[1] .

Im folgenden sollen die Ereigniss vom April 77 bis Oktober 78 chronologisch geschildert werden. Die Überschriften beziehen sich daher immer nur auf einen Teil des Inhalts der jeweilgen Abschnitte.

Alle Macht dem Kultusministerium Im März 77 wurde der Referentenentwurf zum neuen Landeshochschulgesetz (LHG) vorgelegt. Der AStA informierte ab April in einer Flugblattserie. Das LHG sah Regelstudienzeiten (wie heute) vor, wer sie um mehr als ein Jahr überschreitet verliert seinen Prüfungsanspruch, kann also das Studium nicht beenden. Bezüglich der Verfaßten Studierendenschaft war zwar noch keine Abschaffung vorgesehen, jedoch ,,muß […] der Haushalt vom Rektor genehmigt werden. Darüberhinaus kann der Rektor die Zustimmung mit Bestimmungen über die Verwendung der Mittel verbinden (section102,2). Die Verfaßte Studentenschaft ist damit der Willkür des Rektors ausgeliefert, da ohne Finanzhoheit keine sinnvolle Vertretung studentischer Interessen möglich ist. Auch die Rechtsaufsicht über die Studentenschaft liegt beim Rektor, zusätzlich noch beim Kultusministerium, das dem Rektor Weisungen über die Rechtsaufsicht erteilen kann.„[2] Auch in anderen Bundesländern mußten die ASten kämpfen. In Gießen bspw. wurde der AStA verklagt, weil er sich zu Wohngemeinschaften äußerte. Die Rechte des Studierendenparlaments wurden zur Farce. Es sollte nur noch den AStA wählen. Eine Abwahl zu späterem Zeitpunkt sollte nicht möglich sein. ,,Der Vorsitzende des AStA kann dadurch vom Studentenparlament abgewählt werden, daß ein anderes Mitglied des AStA zum Vorsitzenden gewählt wird. Der bisherige Vorsitzende bleibt Mitglied des AStA […]“[3]

Verfaßte Studierendenschaft - in BaWü abschaffen, in Berlin einführen? Am 16.8.77 wurde von der Landesregierung die Gesetzesentwürfe zum Hochschulrecht endgültig verabschiedet. Statt einer Verbesserung sollte es noch schlimmer kommen. Der AStA sollte nicht nur eingeschränkt, nein, die Verfaßte Studierendenschaft sollte gleich ganz abgeschafft werden. Der noch bestehende AStA setzte dagegen: ,,Deshalb wird es von vorrangiger Bedeutung für uns sein, im Kamp um die Erhaltung unserer Interessenvertretung, aufzuzeigen, daß die Verfaßte Studentenschaft nicht nur eine demokratische Spielwiese ist, daß in ihr auch nicht, wie Herr Filbinger [damaliger Ministerpräsident von BaWü mit NS-Vergangenheit] behauptet, ,extremistischer Resolutionismus das Feld beherrscht`, sondern daß die Verfaßte Studentenschaft, deren Vertreter in freier und geheimer Wahl gewählt werden, die Interessenvertretung der Studenten, ähnlich zum Beispiel der eines Betriebsrates darstellt.„[4]

Im September hieße es dazu in der BNN: ,,Der Kampf um den AStA“. Auch der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) war gegen die Abschaffung der verfassten Studierendenschaft. Er sah sich von ,,der eigenen Partei„ im Stich gelassen. ,,Ja noch mehr: Sie sehen sich bloßgestellt gegenüber den Linksradikalen, die die liebsten Jünger an der Brust des Herrn Kultusministers mit Hohn und Spott überschütten werden ob ihres gescheiterten Feldzuges für die Erhaltung des AStA. […] Warum tut man aber im Stuttgarter Staatsministerium, was man im gleichfalls CDU-regierten Nachbarland Rheinland-Pfalz sogar für ganz und gar nicht tunlich und was auch der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für falsch hält.“ Jedoch findet sich in einem späteren asta-info vom 19.10.77 ein Zeitungsausschnitt, in dem es heißt: ,,Die CDU-Landtagsfraktion hat nach Beratungen mit Universitätsrektoren und den Vertretern des Rings christlich demokratischer Studenten (RCDS) eine neue Ersatzlösung für die von der Landesregierung beschlossenen Abschaffung der verfaßten Studentenschaft gefunden.„ Gemeint war damit der Pseudo-AStA aus den studentischen VertreterInnen im Senat.

In Berlin wurde interessanterweise der umgekehrte Weg gegangen und die 1969 abgeschaffte Verfasste Studierendenschaft wieder eingeführt. Auch wurden die Gremien mit je gleich vielen ProfessorInnen, MittelbaulerInnen und StudentInnen besetzt, die Stimmen der Profs wurden nur höher gewichtet, da die Profs laut Verfassungsgerichtsurteil die Mehrheit haben müssen.

Bei der Anhörung im Landtag zum Thema Abschaffung der Studierendenschaft bildeten Studierende und ProfessorInnen eine ,,gemeinsame Abwehrfront“[5] . ,,Von Fürsprechern des AStA wurde davor gewarnt, die verfaßte Studentenschaft im Zusammenhang mit linksradikalen Aktivitäten oder gar der Terrorszene zu sehen; sie verwiesen auf die historischen Leistungen der verfaßte Studentenschaft und meinten, daß der AStA für das Funktionieren des Lehrbetriebs unverzichtbar sei. Professor Wildenmann von der Universität Mannheim wies nach, daß heute viele führende Persönlichkeiten der Bundesrepublik ehedem AStA-Vorsitzende gewesen seien.„[6] Terror gegen den AStA - Filbinger hetzt und will RCDS-ASten ,,In der Nacht von Donnerstag auf Freitag sind die AStA-Räume total ausgebrannt. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Es dürfte wohl klar sein - sollten die weiteren Ermittlungen eine Brandstiftung bestätigen - daß es sich hier u m eine politisch motivierte Tat handelt. […] Der AStA hat zwar stets den Terrorismus verurteilt […]. Was nützt ihm aber diese klare Absage […], wenn die Studentenschaft pauschal und pausenlos von konservativen Zeitungen und Politikern […] als Sympathisanten des Terrorismus und Verfassungsfeinde diffamiert werden?“ Die Äußerung von Ministerpräsident Filbinger ,,Die Abschaffung der Verfaßten Studentenschaft und damit der ASten, ist ein taugliches Mittel ein Stück Sympathisantensumpf des Terrorismus trockenzulegen.„[7] sollte zu einer Strafanzeige des AStA gegen Filbinger führen.

Stimmung gegen Studis wurde auch im Landtag gemacht. ,,Unter dem Beifall der CDU-MdL`s wurden die Studentenschaften pauschal als Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung hingestellt (der Mannheimer RCDS-AStA natürlich ausgenommen). […] Die Absicht der CDU wird deutlich, wenn man eine Aüßerung von Ministerpräsident Filbinger beachtet (sinngemäß): ,Würde es uns gelingen, die ASten mit Vertretern des RCDS, der Jungen Union oder der Schülerunion zu besetzen, wäre die Lage natürlich eine andere.`“[8]

In der BNN wurde dazu folgendes berichtet: ,,Karlsruher Studenten wehren sich gegen Äußerungen Filbingers.„ Der damalige AStA-Vorsitzende Reiner Biller wehrte sich dabei gegen den Vorwurf, die Studierenden unterstützten terroristische Aktivitäten. Speziell sollte der Ministerpräsident gezwungen werden, seine Äußerung vom ,,Sympathisantensumpf“ zurückzunehmen, die lediglich dazu dienen sollte, ,,ein politisches Klima zu schaffen, welches die Durchführung des äußerst umstrittenen Projekts der Abschaffung der verfaßten Studentenschaft erleichtern soll.„[9] Urabstimmungen für den ,,Streik“ Zur gleichen planten die ASten Baden-Württembergs einen unbefristeten Streik an den Hochschulen, der bei Urabstimmungen beschlossen werden sollte. Ein weiteres Ereignis war die Anklage gegen neun Göttinger Studenten, vor allem wohl wegen unliebsamen politischem Engagement während ihrer AStA-Zeit.

Der Senat der Uni Karlsruhe erklärte am 17.10.: ,,Die Universität Karlsruhe hat sich stets entschieden für die Beibehaltung der verfaßten Studentenschaft in der bisherigen Form ausgesprochen […] Der im Regierungsentwurf nunmehr vorgesehenen Abschaffung der verfaßten Studentenschaft wird demnach entschieden widersprochen.

Einige Tage später fand eine von ca. 2000 Studierenden besuchte Vollversammlung statt. An ihr nahm auch der damalige Rektor der Uni, Prof.Dr. Draheim teil. Er lehnte zwar den geplanten Streik ab, war aber inhaltlich mit den Studierenden einer Meinung.

Gleichzeitig wurde die CDU-Vorstellung von einer Studierendenvertretung bekannt. Statt des AStA mit Finanzhochheit und hochschulpolitischem Mandat sollen die studentischen VertreterInnen im Senat den ,,AStA„ bilden, wobei die weitere Verwendung des Begriffs ,,AStA“ beschönigend ist. Eine Studierendenparlament sollte es gar nicht geben. Karlsruhe und Pforzheim demonstrieren … und streiken Am 20.10. hätte eine Demo der Studierenden der Karlsruher und Pforzheimer Hochschulen stattfinden sollen. An diesem Tag fand die zweite Lesung des Landeshochschulgesetztes statt. Da aber in diesen Tagen die RAF Hanns-Martin Schleyer ermordet hatte, ,,sagten die Studentenausschüsse angesichts der eigenen und der Betroffenheit der Bevölkerung über die Ereignisse der letzten Tage die […] angekündige Demonstration wegen der Landeshochschulgesetze ab.„ In einem Flugblatt des asta (20.10.77) heißt es: ,,Der AStA lehnt prinzipiell den individuellen Terror als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab. Das sinnlose Abschlachten von Menschen ruft unsere tiefste Abscheu hervor.“ Statt dessen fand die Demo eine Woche später statt, an ihr beteiligten sich rund 1200 Studierende.

An der Uni Stuttgart begann die Urabstimmung über den Streik mit der Drohung des Rektors, die Wahlurnen einsammlen zu wollen. ,,Hunken hat den Allgemeinen Studenten-Ausschuß (AStA) aufgefordert, alle Wahlaufforderungen zu entfernen, die Urabstimmung einzustellen und die Urnen abzuliefern.„[10] Der AStA kam dieser Aufforderung nicht nach, was keine weitere Folgen nach sich zog.

,,Ab heute Vorlesungsboykott“[11] hieß es schließlich. ,,Aus Protest gegen die bevorstehende Verabschiedung des Universitätsgesetzes wollen Studenten von über 20 Universitäten, Fachhochschulen und Kunstakademien von heute an in einen unbefristeten Vorlesungsboykott treten. […] In zehn Fällen wurde [bei den Urabstimmungen] die erforderliche Stimmzahl nicht erreicht.„ An der Uni Karlsruhe hatten sich 74,2%[12] der an der Abstimmung beteiligten Studis (Wahlbeteiligung 50,8%) für einen Streik ausgesprochen. Der AStA der Uni erklärte dazu, man werde zwar versuchen, ,,Streikbrecher“ mittels Diskussion zur Solidarität zu bewegen, aber niemand gewaltsam vom Vorlesungsbesuch abhalten. Reiner Biller, der damalige AStA-Vorsitzende. ,,Das einzige Mittel kann nur die Diskussion sein„[13] . Die Streikfront wurde zunächst noch größer: ,,Streik an fast 30 Hochschulen - 15 Studenten in Konstanz im [auf zwei Tage befristeten] Hungerstreik“[14] . Intensiv wurde Kontakt mit der Bevölkerung gesucht, ,,Studenten verteilten Blumen an die Damen„[15]. Gegen den Streik war - wer hätte es anders erwartet - der RCDS. In einem asta-Flugblatt vor der Urabstimmung heißt es: ,,Vertreter des RCDS haben angekündigt, […] sie würden […] die Vorlesungen nicht bestreiken. […] Sie werden im Gegenteil als Streikbrecher auftreten. Wo bleibt da der ,entschieden demokratische` Anspruch des RCDS, mit dem er in den letzten Wahlkampf gezogen ist.

Besonders von SPD-Seite wurden die ,,pauschalen Behauptungen entschieden [zurückgewiesen“[16], die Hochschulen seien keine Brutstätten des Terrors. In Baden-Württemberg unterstüzten SPD, ebenso wie die damals oppositionelle FDP, die streikenden Studierenden. Wenig erstaunlich ist, daß der Kultusminister Hahn keinerlei Verständnis dafür äußert. Der lange Marsch der 15 000 Am 9.11.77 war es dann soweit: ,,Der lange Marsch der 15000„[17] ,,Zu dem Protestmarsch, dem zweitgrößten in den vergangenen zehn Jahren im Land, hatten der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), die Landesastenkonferenz und verschiedene Gewerkschaftsorganisationen und ein zentrales Komitee der baden-württembergischen Studentenschaften aufgerufen.“ An anderer Stelle hieß es: ,,`Wir sind in einer Notwehrsituation`, trotzt der Landes-ASten-Sprecher, und da machen wir von unserem Recht auf Notwehr Gebrauch.`„

Die CDU schürte weiter Stimmung und warnte vor ,,Volksfrontbündnissen an Hochschulen“. ,,An den meisten Hochschulen könnten […] demokratische ASten regieren, wenn dort Jungdemokraten und Juso-Hochschulgruppen mit dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) eine Koalition eingingen.„ [18] So wurden also alle anderen Gruppen ins linksextreme Eck gestellt, nur der RCDS als Garant der ,,freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ hingestellt.

Auch die LeserInnenbrief-Schreiber mischten sich ein. Z.B. schrieb Ulrich Becksmann, ,,Zu beklagen ist allein schon der schlechte politsiche Stil […] Argumente der Oppositionsparteien und beträchtliche Bedenken der Betroffenen blieben völlig unbeachtet. Statt dessen wurde Regierungsmacht bzw. Parlamentsmehrheit demonstriert (,,Arroganz der Macht„).“[19] Alles umsonst? Am 10.11.77 wurden trotzalledem das neue Landeshochschulgesetz verabschiedet. Die Landesregierung schien jedoch Bedarf zu sehen, sich zu rechtfertigen. In Anzeigen heißt es: ,,Für eine realistische Hochschulpolitik […] Mit der Abschaffung der Zwangsverbände bisheriger Art wollen Parlament und Regierung verhindern, daß öffentliche Mittel zu radikalen politischen Aktionen mißbraucht werden.„ Dabei handelt es sich nicht um ,,öffentliche“ Mittel, sondern um die Beiträge der Studierenden. Darüberhinaus könnte mensch mit dieser Argumentation auch die Abschaffung der Steuern fordern, da hierbei auch eine Art Zwangsmitgliedschaft besteht.

Die Studierenden gaben sich weiter känpferisch. ,,Studenten sollen AStA-Räume aktiv verteidigen. […] Wie das Zentrale Aktions-Komitee der Studentenschaften (Karlsruhe) [!!!] am Wochenende in Stuttgart mitteilte, beschloß die ASten-Konferenz entgegen den neuen Gesetzesbestimmungen ferner die Aufrechterhaltung der bisherigen studentischen Organe als 'staatsunabhängige Studentenschaften […].„[20]

Die bekanntermaßen konservative WELT schreibt dazu: ,,Das [die aktive Verteidigung der AStA-Räume] ist nichts anderes als ein Aufruf zur Gewalt, denn wie sonst sollen die Räume ,verteidigt` werden, wenn Räumungskommandos [Anm: von denen natürlich keine Gewalt ausgeht …] oder der neue AStA oder wer auch immer sie betreten wollen? […] Und wenn auch zu hoffen ist, daß niemand diesem wahnwitzigen Aufruf folgt, so ist es doch befriedigend, zu wissen, daß Baden-Württemberg auch ein Ordnungsrecht hat. Eins mit Zähnen [Anm: und Knüppeln …].“[21] … notfalls auch die Polizei rufen

,,Da mit Widerstand von seiten der Studentenschaft zu rechnen sei, erwarte das Kultusministerium von den Rektoren, notfalls auch die Polizei zu rufen. Bei der Mehrzahl der Hochschulvertreter seien die Vorstellungen des Ministeriums auf ,wenig Gegenliebe` gestoßen.„[22]

,,In Baden-Württemberg beginnt die Suche nach AStA-Geldern“, hieß es kurz darauf. ,,Der Spannung vor einem Krimi-Ende ähneln die letzten Tage der Allgemeinen Studenten-Ausschüsse der neun baden-württembergischen Universitäten„.[23]

In Karlsruhe begannen die studentischen VertreterInnen der ,,alten“ ASten über Alternativen nachzudenken. ,,Der (noch) amtierende AStA-Vorsitzende Reiner Biller erklärte, alle im Studentenparlament vertretenen Gruppierungen seien für die Gründung einer ,unabhängigen Interessenvertretung`. Mit dieser durch allgemeine Wahlen zu legitimierenden Studentenvertretung auf der finanziellen Basis von freiwilligen Mitgliedsbeiträgen und Veranstaltungsgewinnen […] sollen die seitherigen Aufgaben des AStA weiterverfolgt werden.„[24]

Der Rektor der Uni Karlsruhe hielt weiter zur studentischen Selbstverwaltung in Form der Verfaßten Studierendenschaft. ,,`Kein schlechtes Gesetz kann uns daran hindern`, sagte der Rektor, ,dem Stil der bisherigen Zusammenarbeit beizubehalten und mit Inhalten zu erfüllen, wenn wir alle dies wollen.` Draheim erinnerte daran, daß jetzt nicht mehr die Studenten selbst, sondern das Land Mittel - also Steuergelder - für die studentischen Belange aufbringen müsse, daß jetzt im Landeshaushalt neue Stellen für studentische Belange ausgewiesen werden müssen, daß kein Verwaltungsbeamter die Fülle der freiwilligen Leistungen der bisherigen Allgemeinen Studentenausschüsse ersetzten könne und daß die Neuregelung den K-Gruppen neue Chancen eröffne.“ Insgesamt faßte der Rektor zusammen: ,,Exemplarische bildungspolitische Fehlleistungen„[25]. Sinnvoller Dialog Bundesweit gab es zwischen den Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS), die aus CDU-Sicht ,,linksradikal“ waren, und der SPD Gespräche. Dabei gab es zwar auch Meinungsverschiedenheiten, ,,in einigen Fragen aber auch gemeinsame Auffassungen […] Die SPD werte das Gespräch […] als offen und sachlich geführten, sinnvollen Dialog.„[26]

An der Uni Karlsruhe lehnten sie studentischen VertreterInnen im großen Senat es ab, aus ihren Reihen einen vorläufigen AStA-Vorsitzenden zu bestimmen. ,,Begründung: Dafür bestünde keine demokratische Legitimation durch eine entsprechende Wahl. […] Uni-Rektor Professor Dr. Draheim war das recht: ,Nehmen Sie Ihre Aufgaben weiter wie bisher wahr.`“[27] Am nächsten Tag drückte sich der Rektor in einem Interview etwas vorsichtiger aus: ,,Ich habe weder etwas gut geheißen, noch war mir das Verhalten der Studenten recht, wie es in der gestrigen BNN-Meldung mißverständlich hieß. Ich habe lediglich dafür zu sorgen, daß die Betreuung der Studenten durch Studenten bis zur Neuwahl des großen Senats im Februar 1978 gesichert ist. Da die Studenten die Wahl verweigert haben, habe ich den bisherigen AStA-Vorsitzenden, der Mitglied des Großen Senats ist, mit der Wahrnehmung der studentischen Belange betraut.„[28]

Die StudierendenvertreterInnen des ,,alten“ AStas blieben nicht untätig. Schon bald konnten sie ankünden: ,,schon in den nächsten Tagen [wird es] eine ,Unabhängige Interessenvertretung der vereinigten Studentenschaft e.V.` geben, die abseits von allen kultusministeriellen Bestrebungen sämtliche studentische Belange wahrnimmt, ,Und nicht, wie der Gesetzgeber es jetzt vorsieht, als Handlanger des rektors fungiert.` meinte Reiner Biller, noch AStA-Vorsitzender.„[29] Vorläufer des UStAs gegründet Kurz darauf war es soweit, am 22.12.77 trafen sich in den AStA-Räumen 7 Studierende und hielten die GründerInnenversammlung des ,,Studentenschaft Karlsruhe Uni-Kasse e.V.“, aus dem inzwischen der ,,UStA Kasse e.V.„ geworden ist, der die politische Arbeit macht und dem ihm verbundenen ,,Studierenden Service Verein“, über den die Druckerei, Fahrzeugvermietung und andere Servicearbeit abgerechnet wird.

Inzwischen war es für die VDS auch Zeit, ,,ihren„ bundesweiten Vorlesungsboykott zu bewerten. Aus eigener Sicht ,,natürlich“ positiv , wobei weniger die Zahl der aktiv beteiligten Studenten gewertet wurde, sondern mehrdie durchden Boykott erzeugte Gesprächsbereitschaft von Politikern. DIE WELT bewertet dies ebenso ,,natürlich„ ganz anders. ,,Von 800 000 Studenten hätten 100 000 den Vorlesungssälen den Rücken gekehrt. Ihr Boykott habe bei den Politikern Gesprächsbereitschaft erzeugt. Das ist wahrlich eine beeindruckende Bilanz. Immerhin haben sich 700 000 Studenten keinen Deut um die VDS-Aktion gekümmert. […] Aber immerhin glauben die VDS eine ,deutliche Anerkennung` ausmachen zu können. Tatsächlich, Brandt hat mit ihnen gesprochen. Anerkennung für die extremistischen Außenseiter, die nach eigener Bilanz die überwiegende Mehrzahl der Studenten nicht bewegen.“[30]

Auch das Vorgehen in Baden-Württemberg war Thema in der bundesweiten Presse. Und auch kritische Urteile fielen: Das Ziel der Landesregierung ,,war und bleibt, wie eine Anzahl von Beispielen in der Vergangenheit (Wyhl ist das herausragendste) zeigen, eine Entmündigung und Gleichschaltung der Bürger. Das wiederholte Vorpreschen der Landesregierung […] heute bei der Abschaffung der verfaßten Studentenschaft beweisen dies. (Filbinger: ,Ja wenn der RCDS in den ASten wäre, wäre die Abschaffung nicht notwendig.`) Und wenn die Entmündigung und Anpassung der Bürger nicht widerstandslos erfolgt, dann wird auch vor dem Einsatz der Polizei nicht haltgemacht.„[31]

Der Senat der Uni Karlsruhe mußte sich auch um die finanzielle Ausstattung des Rumpf-AStas kümmern. Im Bericht des Senats vom 25.1.78 heißt es dazu: ,,Als Reaktion auf die Mitteilung des Kultusministeriums [75 000 DM für den AStA, der fvorher einen Etat von 250 000 DM hatte] hat der Rektor einen Brief an das Kultusministerium gesandt, in dem er das Angebot des Landes als völlig unzureichend bezeichnet. Ein gleichlautender Antrag wurde im Senat einstimmig verabschiedet.“ ,,Zu spät, Herr Späth„ Am 31.1.78 wagte sich dann der CDU-Fraktionsvorsitzende Lothar Späth zu einer RCDS-Veranstaltung mit Rektor und Studierenden an die Uni. Er mußte sich viele Vorwürfe anhören, aber die BNN bescheinigte: ,,CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag bewies bei RCDS-Veranstaltung Durchsetzungsvermögen“. Jedoch: ,,[Rektor] Professor Draheim wies nachdrücklich darauf hin, daß alle Angehörigen der Uni mehrheitlich das neue Landeshochschulgesetz (LHG) in seiner jetzigen Form abgelehnt hätten. […] man habe mit der verfaßten Studentenschaft zumindest in Karlsruhe immer einen ordentlichen Partner gehabt […] es wurden insgesamt keine Gelder verschwendet. […] Er machte keinen Hehl daraus, daß er selbst vom neuen LHG nichts hält und mehr denn je fürchtet, daß ,überall wo nur gemäkelt wird, gleich ein Verbot erfolgt.`„[32]

Im Februar gab es dann die ,,Nagelprobe für das neue Gesetz an der Uni - Studenten wählen zusätzlich ihr ,inoffizielles` Parlament“[33] . Sie verlief erfolgreich. Parallel zu den damals noch im Frühjahr stattfindenden Senatswahlen wurde auch erstmalig ein ,,unabhängiges„ Studierendenparlament (StuPa) mit damals noch 35 Sitzen gewählt. Insgesamt kandidierten darauf 9 Listen, die linken erhielten die Mehrheit der Sitze, allein die Jusos 12. Trotzdem war offensichtlich die Mehrheitsfindung nicht so einfach - bei der ersten StuPa-Sitzung konnte sich der von den Jusos vorgeschlagene Vorsitzende nicht durchsetzen. Auch die zweite Sitzung - so ergibt sich aus den Protokollen - wurde erstmal um zwei Tage verschoben, bevor dann doch der auch schon bei der ersten Sitzung vorgeschlagene gewählt wurde.

In der folgenden Zeit befaßte sich das StuPa damit, eine Satzung für das ,,unabhängige Modell“ zu entwickeln, in der die Aufgaben und Befugnisse der einzelnen Teile wie StuPa, Fachschaften(konferenz) und UStA festgehalten wurden. Des weiteren wurde weiter gegen die geplante Durchsetzung der sogenannten Regelstudienzeiten durch Exmatrikulation 2 Semester nach überschreiten gekämpft. Im Oktober konnte das ,,usta info „ fragen: ,,Keine Zwangsexmatrikulation?“[34] , was schließlich durch Verabschiedung des von SPD(/FDP)-Ländern dominierten Bundesrat kurz darauf auch positiv beantwortet werden konnte. Die Argumente gegen Zwangsexmatrikulation in diesem Fall waren schon damals ähnlich wie heute gegen Strafgebühren nach dem 13. Semester. ,,Erstens bringt Regelstudienzeit keine Kapazitätsersparnis, da in jedem Fall ein Student eine feste Anzahl von Lehrveranstaltungen besucht, zweitens sind Arbeitsmarktüberlegungen in diesem Zusammenhang zumindest fragwürdig, drittens erfordert die Regelstudienzeit einen immensen Bürokratieaufwand, der sich auf Studienreformbestrebungen nur hemmend auswirkt.„[35] 20 Jahre später … … gibt es in Baden-Württemberg, ebenso wie in den ,,Freistaaten“ Bayern und Sachsen nach wie vor keine verfaßte Studierendenschaft. Aber auch in den anderen Bundesländern kommen die dortigen ASten in letzter Zeit verstärkt in Schwierigkeiten. Vor allem durch Klagen von RCDS-Mitgliedern oder nahestehenden Studierenden wurden ihnen zum Teil Maulkörbe auferlegt. Sie gehen zum Teil so weit, das einzelne ASten bzw. Fachschaften unter Androhung von bis zu 500 000 DM Ordnungsgeld nicht einmal zu Inhalten des Lehrstoffs Stellung nehmen dürfen, sofern es dabei politisch wird. Gutes Beispiel wäre dafür die Kernenergie. Der Kampf geht also weiter …

Oliver Iost, UStA Uni Karlsruhe, 1997 Die Geschichte des UStA 1978 bis 1997

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geschichte/1977.txt · Zuletzt geändert: 19.01.2018 12:58 von veras